Moscow Mule
Ich nehme die Welt durch tausend Filter wahr. In dieser Bar. Im Séparée. Unter Menschen, die ich kenne oder auch nicht. An diesem Freitagabend in Berlin.
Der Anlass ist zur Abwechslung ein freudiger und trotzdem komme ich mir in meiner Traurigkeit fehl am Platz vor. Ich besehe mir die Gesichter um mich herum, die ich teils kenne, teils nicht und dir mir teils so verdammt bekannt vorkommen. Oder auch nicht.
Das Mädchen neben mir zum Beispiel. Sie ist so ein Fall. Theoretisch kann ich sie nicht kennen, praktisch sehe ich sie jeden Tag – in der Uni, in der U-Bahn, am Alexanderplatz oder eben in dieser Bar.
Das Licht ist gedimmt, die Sicht wird immer unklarer, die Musik wird Beat für Beat ausgeblendet. Irgendjemand raucht. Die Gespräche um mich herum nehme ich nicht mehr wahr. Sie dreht ihr Glas mit goldener Flüssigkeit und grünen Punkten in ihrer Hand.
Den Blick auf ihr Dekolleté geheftet frage ich, was sie da trinkt.
“Moscow Mule.”, sagt sie, “Wodka, Ginger Ale, Crushed Ice und Gurke.”
In Hamburg trinkt sie das öfter. Aus einer Kupfertasse. Oder auch nicht
Sie nickt und wenn sie nickt, nicken ihre Brüste mit, wie um das Gesagte zu bekräftigen. Es mag am Alkohol liegen, aber es liegt etwas Tröstliches darin. Oder dazwischen. Oder auch nicht.
Wodka, Ginger Ale, Crushed Ice und Gurke. Das ist eine perverse Mischung, lüge ich und versuche mir den Geschmack vorzustellen. Ich schaue mir dabei ihr Glas an und dann meins. In meinem Glas blubbert es rosa und cremig, am Rand hängt ein halber Obstsalat – eine Fruchtzucker-Ethanol-Symbiose, die mich fröhlich machen soll. Für die optimale Druckbetankung treiben müde zwei Strohhalme darin herum und bringen die Eiswürfel zum Klirren. Ihr Glas dagegen wirkt wie der heilige Gral. Oder auch nicht.
Die Bars, die ich regelmässig frequentiere gehe ich, während ich mich heimlich vom Anblick ihres gewaltigen Vorbaus trösten lassen, in Gedanken durch. Ich sehe Servietten und Cocktailkirschen, Barkeeper und Kondensringe auf Holztresen. Ich sehe klebrige Mai-Tais, die gegen Liebeskummer helfen. White Russians, die den Qualitätsstandard einer Bar in einem Schluck umschreiben. Cosmopolitians, die für das erfolgreiche Projekt belohnen. Und vor allen Dingen sehe ich unzählige Gin Tonics, die mich fucking sophisticaed aussehen lassen, wenn ich eigentlich die Kontrolle behalten will. Aber ich sehe weder Wodka, Ginger Ale, Crushed Ice noch Gurken.
Weil ich das Mädchen nett finde, reisse ich ihr das Glas nicht aus der Hand, sondern bestelle mir meinen eigenen Moscow Mule. Ohne Kupfertasse, mit Gurke. Der Geschmack ist fein, fast belanglos, kein Fruchtzucker-Ethanol-Gemisch, das dir den Kopf vom Hals reisst und dich in die Welt des gepflegten Vollsuffs schmeisst. Es ist subtil. Herber Ingwer, herbe Gurke, eine Spur Schärfe des Wodkas dazu die schwere Süsse des Ales. Ich ertappe mich dabei, dass ich die Gurkenstücke mit dem Strohhalm aus dem Glas fische, weil der heilige Gral nicht so einfach ausgetrunken sein darf. Während meine Zunge langsam immer schwerer wird und es zu fortgeschrittener Stunde keine unnötigen Worte mehr bedarf, halte ich mich an meinem Glas fest. Oder auch nicht.
Vielleicht hält mich auch das Glas fest. Meine Körperwärme lässt die Eiswürfel klirrend schmelzen. Vielleicht habe ich endlich das passende Mittel gegen Weltschmerz gefunden. In vodka veritas. Oder auch nicht.
Bildquelle: Flickr

studIpod
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