G. ist tot. Vor zwei Wochen, zwei Wochen nach O., starb auch sie.

Tragisch ist das. Ich hab sie innerhalb der Bande immer als meine einzige Verbündete gesehen. Mit ihrer Berliner Kodderschnauze und der stillen (und auch letzendlich todbringenden) Erkenntnis, alles zu besser zu wissen. Besser als Anwälte, besser als Steuerberater, Gerichtsvollzieher und – vor allen Dingen – besser als Ärzte. So isse halt. So war sie.

Heute war die Beerdigung von O. und alle waren da. Die Trauernden, die Weinenden, die buckelige Baggage, die ich auch nach fast 5 Jahren nur vom Hörensagen kenne. Und O., der von irgendeiner dubiosen Tropenkrankheit verlebte Körper, eingeäschert in einer schlichten Urne. In Marzipanien ruht er nun und kommt nicht wieder. Er hat eine Tochter. Das wusste ich nicht, das wusste wohl kaum jemand – auch nicht die, die behaupteten, ihn besonders gut zu kennen.

Ihr war soviel Aufmerksamkeit peinlich, soviel Anteilnahme für einen Vater, der eh nie da war und irgendwann für sehr lange auf einem anderem Kontinent gelebt hatte. O. hatte mehrere Kinder, nur sie war anwesend und hat die ganze Bekundungslast allein getragen.

Ich behaupte nicht einmal O. besonders gut gekannt zu haben. Im Grunde habe ich ihn garnicht gekannt. Nur die Geschichten, Grenzgeschichten, Ostgeschichten, Familiengeschichten, Fernwehgeschichten, Kontinentalgeschichten. G. hat dabei am häufigsten erzählt, sich brüskiert, echauffiert und lamentiert. Über den O., ihren einzigen Sohn.

Trotz des Nichtkennens war ich dabei. Ich bin vermutlich keine ideale Stütze gewesen. Für niemanden. Für den besten Anzugträger von allen vielleicht. Der Rest der Familie ist, wie in Trauerfällen so üblich, in einem von zwei möglichen Aggregatzuständen gefangen. Entweder die Fehden ruhen und man trauert für einen kurzen, vielleicht sogar ehrlichen Moment zusammen oder man scheisst sich gegenseitig an und vor lauter Schiss der Nächste zu sein in das trauerfarbene Höschen. So wie man sich die eigene Verwandtschaft nicht aussuchen kann, kann man das auch nicht mit der Familie tun, die genetisch an denjenigen hängt, die man sich im Umkehrschluss sehr wohl ausgesucht hat. Er zum Beispiel. Und in unserem Beispiel wars keins von beidem.

Wie soll das erst in einem Monat werden? Dann sind wir nochmal draussen in Marzipanien und laufen die Friedhofsallee runter.

Natürlich waren wir schockiert, dass der O. doch so schnell, so plötzlich gestorben ist, wobei es doch eigentlich absehbar – geradezu planbar gewesen ist. Aber der Tod von G. war ein Zacken schärfer. Zyniker würden sagen “Selbst schuld!”, ich würde dem Zyniker in genanntem Fall die feisten Eier ins Maul stopfen und kieferanimierend für ihn kraftvoll zubeissen.

In G.’s Fall war es ein tragisches Zusammenspiel der Umstände ohne ein wirklicher Unfall gewesen zu sein. Life sucks, nur immer die Falschen.


Irgendwie tut es weh zu begreifen, dass alles irgendwann endet. Und sich trotz eines statistischen Lebensenddatum bewusst zu sein, dass es außerplanmäßige Änderungen geben kann, gegen die man im Endeffekt genauso machtlos ist, wie gegen “Aktion Tier”, die Motz oder die BVG. Dann geht man übern Jordan, egal ob wir noch Abo zu kündigen oder den Müll weg zu bringen hat.

Auf der anderen Seite ist es wohl mehr als nur ein natürlicher Selbstschutzreflex die eigene Sterblichkeit, wenn es nur irgendwie geht, aus dem Erlebnishorizont auszublenden. Ich frage mich an dieser Stelle nur, ob die Welt ohne diesen Reflex ein besserer oder ein noch schlechterer Ort wäre?

Tschüss O., ich kannte dich nicht gut genug, um dich zu vermissen – bin mir dabei durchaus bewusst, dass kein Mensch den Tod oder ein Leben verdient, was in den letzten Zügen so schmerzhaft gewesen sein muss wie deines.

Tschüss G., du wirst mir sehr fehlen. Oder nein, du fehlst mir jetzt schon. Pass ab jetzt wenigstens auf dich auf.

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