Liebes Internet,

der Tag hat beschissen angefangen. Mit dem rechten Fuß habe ich zuerst die vom nächtlichen Wasserschluck geöffnete PET-Flasche umgeworfen und die Klamotten, die am Abend noch achtlos auf den Boden geflammt worden sind, einer Vorwäsche unterzogen. Mit dem linken Fuß überprüfe ich ruckartig, ob die Kommode noch da steht. Ja, tut sie – Zeh fast ab. Im Bad erblicke ich die “Nachtmahr” (das ist Frau Ritari, wenn sie vergessen hat sich abzuschminken). Ok, Himmel bewölkt – sagte das Berliner Wetteramt nicht irgendwas von 25°C +? Zwiebellook! Doof nur, wenn alles was zwiebel-kompatibel ist von meinem besten Hausmann in einem Anfall von Wahn in die Waschmaschine gestopft wurde. Shampoo alle, keine flauschigen Badehandtücher mehr vorrätig. Das Dilemma zieht sich weiter durch den großen Flur (und das kunstvoll verknotete Staubsauger-Kabel) in die Küche, wo es gänzlich an allen nötigen Grundnahrungsmitteln für ein Frühstück fehlt, David Rio Chai ist auch alle. Was für ne Scheiße.

In Ersatz-Kleidung gehüllt und schon leicht angepisst, stolpere ich aus der Tür und bemerke an den Briefkästen, dass mein Portemonnaie noch oben ist. Ohne Portemonnaie, keine Fahrkarte – ohne Fahrkarte, keine Uni. Also wieder die fünf Stockwerke (nein, kein Fahrstuhl) hoch und wieder runter. Ich bin zu diesem Zeitpunkt schon mittelmäßig angespannt.

Auf dem Weg zur S-Bahn fällt mir auf, dass meine Handtasche heute sehr leicht ist. Man sagt mir nach, dass ich nur mit meiner Handtasche bewaffnet, mehrere Wochen im Amazonas-Gebiet überleben würde. Mit den Notizen in den Uni wird das heute wohl nichts – Unterlagen liegen noch im fünften Stock in der Ersatz-Handtasche. Mir entweicht verbal ein erstes zartes “Fuck”.

In der S-Bahn sitzt wohl der einzige, korpulente Handwerker ganz Berlins, der neben einem großzügigen Verhältnis zu billigem After Shave auch eine ziemlich perverse Vorliebe für Döner (mit extra Zwiebeln) zum Frühstück verfügt. Nein, der Herr hat schon gegessen, sollte man ja in den Öffis nicht, empfiehlt die BVG-Dame auf den Werbeflächen. Ich sehs an der weißen Sauce im linken Mundwinkel und rieche es, wobei ich nicht genauer drüber nachdenken will, ob die Zwiebeln wirklich von heute morgen oder gestern abend oder.. wuragh. Das “Fuck” wird ein µ lauter.

Am Westkreuz verpasse ich die Anschluß-Tram. Ruhig bleiben, Große. Das passiert dir auch an normalen Tagen. Was nicht alle Tage passiert, sind die Horden an Brandenburger und Berliner Ferienkinder, die die Tram zu ihrem persönlichen Sodom (oder auch Gomorrha?) transformieren und “SCHLAND! SCHLAND!” brüllen.. UND VERMUTLICH NICHTMAL WISSEN, WAS DAS HEISST. Durchatmen. Fuck.

Nach drei Stunden Seminar, einer halben Stunde Pause (es reisst nicht ab, in der Mensa gibts nur “unkoscheres”, der Salat in der Anrichte.. kennen wir uns, warst du nicht gestern auch schon hier?) und wieder anderthalb Stunden Seminar, in dem ich spontan ein Projekt erläutern darf, das (wohl aus gutem Grund) nicht konsequent zu Ende gedacht wurde, stürme ich in den kleinen Hörsaal. Und hier passiert ausnahmsweise mal nichts.. wahrscheinlich zuviele Zeugen. Außer dass ich diverse Male mit unterdrückter Nummer angerufen werde, was mich veranlasst diese Anrufe konsequent wegzuklicken. ICH HASSE Anrufe mit unterdrückter Nummer und ich studiere jetzt gerade. Also pscht.

Auf dem Weg nach Hause bemerke ich eine nicht unerhebliche Laufmasche am linken Knöchel (unkaschierbare Stelle!) und der schwarzgelockte Typ, der mich schon seit der Jungfernheide sporadisch mustert und grinst, bemerkt sie auch. Das findet er wohl süß – ich finds ZUM KOTZEN! Willst du Streß, Bübchen? Sag Bescheid und du kriegst das erste Mal in deinem Leben Prügel von ner Frau – ich schwörs!

Sag ich natürlich nicht, ich denks nur. Mittlerweile bin ich nur noch genervt und finde tausend Gründe zum Meckern und Unglücksein. Tasche schwer. Schuhe eng und – verdammt – wie dunkel wars heute morgen, als ich mich angezogen habe? Hunger habe ich (Scheiß Salat.) und die Sonne nervt. In solchen Situationen raune ich gerne wüste Beschimpfungen auf griechisch vor mich hin, weils Spaß macht und keiner versteht. Diesmal wars nur ein relativ mildes “O kairos me treleni” (“Das Wetter macht mich meschugge”) und trotzdem reagiert der Schwarzgelockte mit einem Grinsen, das sich nicht nur um einige Grade vergrössert. ARGH. Er hat den Jagdinstinkt im Blick.

Boah, ich muss hier raus – die Ferienkinder von heute morgen befinden sich anscheinend gerade auf dem Rückweg – weg von der Hitze, weg von der griechischen Front, weg vom Schweiß und der Hitze. Ah, meine Station – ich steige aus.

Der Besuch im Supermarkt endet traurig, entweder es wurde heute nichts geliefert oder die Prenzl-Muttis haben ihren Einkauf nach vorne verlagert. Beschissenes Volk, meine Laune ist mittlerweile angespannt und ich befinde mich in Lauerstellung. Wenn der Dreijährige da vorne auf Prenzl’Muttis Arm gleich mit Cent-Münzen bezahlen will RASTE ICH AUS. Mit dem Beutel voller Ersatznahrung schleiche ich nach Hause, bloß keine Aufmerksamkeit erregen.

Zu Hause angekommen ist mein bester “Heute mal Home Office”-Mann von allen zuhause und hat gerade keine Zeit, er muß die Schuhwelt vorm Servercrash retten. Gewohnheitsmäßig checke ich meine Emails. Nur Hiobsbotschaften. Danke, aber nein danke. Der Laptop fährt schon wieder runter und ich suche die Flasche Aperol, die ich extra für solche Dinge eigentlich immer zur Stelle habe. Mein allerallerbester Lebensabschnittsgefährte, den ich heute noch nicht gesprochen, weil Monsieur heute ausschlafen durfte, kommt in die Küche, umarmt sein Häufchen Elend und fragt wie mein Tag heute war. Er kriegt die Kurzfassung.

“Harter Tag? Ich sag dir mal was ein harter Tag ist!”, sprachs und verfällt in Informatiker-Monologe. Ich liebe es, wenn er das tut. Ich werde ganz versöhnlich und während er seinen harten, harten Informatiker-Tag voller Bits, Bytes und Telefonkonferenzen analysiert, beschliesse ich morgen mit dem linken Fuß zuerst aufzustehen. Oder gar nicht. Wir werden sehen.

Deine Marga

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