Aus der Rubrik
“Kunden unter der Lupe (oder am besten gleich ab in die Anstalt)”


Liebe M.M.,

du hast mich heute zweimal im Kundenservice des Arbeitshimmels erreicht. Die zwei Gespräche haben insgesamt 13 Minuten und 48 Sekunden gedauert. Das weiss ich so genau, weil ich mitgezählt habe. Diese Zeit hätte ich gern von dir zurück.

Ich bin nicht auf den Mund gefallen, ich bediene mich – wenn es nötig ist – einer gewählten Ausdrucksweise, ich lasse Menschen grundsätzlich ausreden (außer bei Mundgeruch und anderen verbalen Verbrechen), bin höflich und versuche so gut zuzuhören, wie nur irgendwie möglich. Ich werde schliesslich dafür bezahlt und du, M.M., weisst das und hast das alles heute bis zum Zerbersten überstrapaziert und ausgenutzt.

Nach unserem ersten Telefonat war ich kurz weg, um mir die Hände zu waschen. So benutzt und missbraucht kam ich mir vor, um wertvolle Minuten meines kostbaren Lebens beraubt, die tiefe Bestürzung, wie grausam Menschen sein können, verdunkelte meine Gesichtszüge. Ich bin sogar während des zweiten Telefonats sogar aufgestanden, so hilflos hab ich mich gefühlt, so wehrlos.

Natürlich ist dir das egal, deinen Namen schreibe ich auf meinen Notizenblick und halte ihn für die anderen Anwesenden hoch. Sie alle verdrehen die Augen, sie kennen dich. Ihnen tust du in regelmäßigen Abständen das selbe an. Wir sind deine Sklaven, von 09:00 – 20:00 Uhr erreichbar, Montags bis Freitags.

Aber jetzt ist Schuß, Baby. Jetzt ist Feierabend und Payback-Time.

Punkt 1: Du sagst dein Freund würde mit mir schimpfen, wenn du so viel Kram bestellst. Ich glaube dein Freund, sofern er nicht elektrisch rotiert und auch sonst eher der schweigsame Typ ist, betet regelmäßig, wenn du mal mit was anderem beschäftigt bist, als mit dir oder ihm. Dafür zahlt er auch gerne mal 300,00 Euro Monat – du lässt ja eh alles zurückgehen.

Punkt 2: Du sagst, dass du glaubst wir nehmen dich nicht ernst. Das stimmt, Herzchen, denn deine Verbesserungsvorschläge steigern unsere Effektivität ungefähr so sehr, wie ein fröhlich hervorgepresster Furz Auswirkungen auf die Mesosphäre hat. Wie wärs wenn du einfach die Finger still hälst, dann müssten wir dir nicht die Welt erklären und könnten uns anderen Kunden zuwenden. Du stiehlst nicht nur Nerven, sondern auch Zeit.

Punkt 3: Du sagst dein Freund fände es nicht gut, wenn du dich so sexy anziehst (siehe Punkt 7). Der Verdacht erhärtet sich, dass es sich bei deinem Freund um etwas Erdachtes oder Aufladbares handelt.

Punkt 4: Du sagst, dass du dir überlegen musst, welche Bestellungen du jetzt stornierst, damit Punkt 1 und 3 nicht in Kraft treten. Warum sagst du mir so etwas? Mich interessiert weder, was du trägst, wann du es trägst und ob dein imaginärer Stecher damit einverstanden ist. Ich bedauere mich selbst für meine gute Erziehung.

Punkt 5: Du fragst mich, wie das Strickkleid in chicheringrün ausfällt und ob ich nicht auch finde, dass das Hängerchen “Blablub” von der Firma “Modemarke0815″ in fallobstbraun nicht irgendwie aussieht wie ein Unterkleid. Ich sage, dass es den üblichen, europäischen Standards entspricht und dass die Produktpflege es als Kleid und nicht als Dessour kategorisiert hat. Ich denke, aber, dass du ein ernsthaftes Problem hast und frage mich, wann in Gottes Namen du endlich die Fresse hälst und aufhörst, mich nicht aussprechen zu lassen. Dein Friseur tut mir so leid.

Punkt 6: Du fragst mich nach den Maßen eines bestimmten Models und vergleichst deine Figur mit der burschikosen Silhouette der betreffenden Dame. Die Maße der Models stehen unter dem Artikel, du doofe Nuss. Die Physik widerspricht dir übrigens, wenn du mir ein unzähligen Nebensätzen versuchst weißzumachen, dass du eine 75-E-Oberweite und einen 90er Hüftumfang hast. Du bist ein physikalisches und medizinisches Wunder. Dich sollte man als Brechmittel engagieren. Dein Dialekt zehrt übrigens an meinen Nerven.

Punkt 7: Du fragst, ob ICH das Strickkleid in Grösse 36 oder 38 bestellen würde. Du Miststück, bin ich dein Einkaufsberater? Eine kurze Eingabe deiner Email-Adresse bei Facebook ergibt übrigens, dass du auch locker ne 40 tragen kannst. Was als E-Cup impliziert wurde, entpuppt sich als großzügige B und so wie du in deinem Profilbild in dieser ländlichen Kulisse stehst, die Arme ausgebreitet im Weizenfeld, würde ich sagen, dass sowohl chicheringrün als auch fallobstbraun farblich her super passt, so von wegen Chameleon-Effekt.

Liegt es daran, dass du eine harmlose Pummelfee bist? Hast du keine Freunde oder keinen Job? Bindest du dir heute noch Schnitzel um den Hals? Wir wohnen nicht in der selben Stadt, nicht mal im selben Land, warum glaubst du tatsächlich, dass mich all dieser Kram interessiert oder etwas ändert. Ich bin doch nur jemand, der zufällig ans Telefon geht. Gibts bei dir ums Eck denn keine Telefonseelsorge? Oder Therapeuten? Du brauchst dringend Hilfe. Oder den Gnadenschuss.

An alle, die sich abgeschreckt fühlen: Ihr dürft auch gern weiterhin anrufen. Ihr könnt uns gern erzählen, wie toll oder wie doof ihr uns findet. Wenn ihr nett seid, werden wir euch auch unsere ehrliche Meinung und persönliche Sichtweise mitteilen. Wir lachen auch gern mit euch und nehmen eure Probleme und Vorschläge ernst, wir sind ja schliesslich auch Kunden. Aber bitte macht nicht den Fehler und verwechselt unsere Telefonnummer mit einem Ersatz für richtige, zwischenmenschliche Kommunikation. Wir arbeiten hier nur. Und wenn das Telefonat beendet ist, geht das Leben weiter. Sofern man eins hat.

Deine Marga

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